Autorin: Alice Berger

Et voilà, la réalité

Wir befinden uns im 21. Jahrhundert und erleben trotzdem fundamentale Einschränkungen oder gar Rückschritte in den Rechten der Frauen und LGBTQIA+. In den letzten beiden Jahren wurde das an vielen Orten der Welt einmal mehr deutlich: Ganz aktuell offenbart die von mutigen Frauen initiierte und angeführte Revolution im Iran die über Jahrzehnte lange Unterdrückung des weiblichen Geschlechts durch das islamische Regime. In Afghanistan erleben wir durch die Machtübernahme der Taliban eine Rückkehr zur vollständigen Repression der Frauen. In Russland hat die Staatsduma im November ein Gesetz zur Verschärfung der Restriktionen für sexuelle Minderheiten auf den Weg gebracht. Gegen Ungarn und Polen liegt ein Vertragsverletzungsverfahren der EU wegen mutmaßlicher Diskriminierung Homo- und Transsexueller vor. #metoo legt bis heute offen, wie tiefgreifend Frauen in allen gesellschaftlichen Bereichen unter Sexismus leiden.

Die Liste kann lange so weitergeführt werden und schließt uns in Deutschland mitnichten aus. Auch wenn nicht vergleichbar mit strukturellen Missständen in anderen Ländern dieser Erde, so treten auch hierzulande tiefgreifende Ungerechtigkeiten zwischen den Geschlechtern zutage. Und das zeigt sich in allen gesellschaftlichen Bereichen. Besonders gravierend aber in der Pop-Musik. Dabei genügt ein Blick in die Fakten zu Frauen in der Musikbranche:

  • Frauen verdienen in der Musikbranche bis zu 30 % weniger als ihre männlichen Kollegen. Im Durchschnitt liegt der Gender Pay Gap in Deutschland bei 18 %. (Quelle)
  • Im Radio stammen 10 % der gespielten Songs von Urheberinnen. (Quelle)
  • In den deutschen Charts liegt der Frauenanteil bei rund 20 %. (Quelle)
  • Der Frauenanteil auf deutschen Festivalbühnen liegt bei weniger als 20 %. (Quelle)
  • Musikproduzentinnen machen einen Anteil von 2 % am Musikmarkt aus. (Quelle)
  • Für weitere Fakten lohnt sich ein Blick in die Studie von Keychange (s.u.) und Reeperbahn Festival aus 2021.

Und hier geht es nur um die Präsenz in Strukturen und auf Bühnen. Ein Blick auf die Zahlen an sexuellen Übergriffen oder frauenverachtende Musiktexte und -videos würde eine noch größere Debatte mit sich bringen. Also, woher rührt die große Ungleichheit? An starken weiblichen, nicht binären und Trans-Talenten mangelt es jedenfalls nicht. Doch woran liegt es dann? Und was muss sich ändern?

Wir müssen reden

Um diesen Fragen nachzugehen, haben wir im Auftrag des New Fall Festivals Anfang November ein neues Format konzipiert. free:pop bietet eine Bühne für weibliche und non-binäre Acts. In einer Panel-Diskussion zum Thema „Geschlechtergerechtigkeit in der Musikbranche“ wurden Hintergründe und Handlungsmöglichkeiten diskutiert. Moderiert von Kulturjournalistin Aida Baghernejad waren an der Diskussion beteiligt:

Fazit des Diskurses war: Kunst und Kultur muss so dargestellt werden, wie sie ist: bunt. Und dafür braucht es Mut. Es folgt ein Ergebnisbericht.

Fotos: Lisa Ramacher

Von Mut und Solidarität

Wie in vielen anderen gesellschaftlichen Bereichen, so manifestiert sich die Geschlechter-Ungleichheit auch in der Musikbranche in strukturellen Schieflagen. Denn die Musikindustrie ist deutlich konservativer, als es die Musik den Anschein macht. Das hat mit fehlendem Mut und geringer Experimentierfreudigkeit seitens der Veranstalter:innen, Booker:innen, Programm-Chef:innen, etc. zu tun. Mit der Begründung, Geld zu verdienen, wird weiterhin auf vermeintlich sicher funktionierende Line-Ups oder Playlists gesetzt. Eben männerdominiert. Und dass Männer im Sinne der Selbstdarstellung und Vernetzung untereinander lauter als ihre weiblichen und weiblich-gelesenen Kolleginnen sind, ist aus anderen gesellschaftlichen Bereichen wohl bekannt.

Ja, Geschlechtergerechtigkeit ist ein gesamtgesellschaftlicher Auftrag. Daher braucht es natürlich auch Aufklärung über die Grenzen der Musikbranche hinaus, angefangen bei der Bildung. Aber diese Mühlen mahlen langsam. Der Musikindustrie muss jetzt deutlich werden, dass Diversität und Geschlechtergerechtigkeit zeitgemäß sind. Und es gibt sie, die Wege dorthin – auch jenseits von reinen Frauenfestivals und Quote. Hier ein paar Anforderungen und Ansätze:

  1. Es braucht deutlich mehr Solidarität und gegenseitiges Pushen von Musiker:innen, Redakteur:innen, Journalist:innen untereinander.
  2. In puncto Diversität darf keine:r gegeneinander ausgespielt werden. Vielmehr muss der Gedanke gefördert werden, dass sich gegenseitig nichts weggenommen wird.
  3. Um Emotionalität aus der Gender-Debatte zu nehmen, braucht es mehr faktenbasierten Austausch.
  4. Initiativen oder Netzwerke, wie Keychange, unterstützen Akteure der Musikbranche bspw. durch die Vermittlung von Künstler:innen darin, per Selbstverpflichtung auf mehr Geschlechtergerechtigkeit hinzuarbeiten.
  5. Die Sichtbarkeit von Role Models schafft Aufmerksamkeit und Motivation.
  6. Es braucht einen intensiveren Austausch mit der Politik, um Förderrichtlinien so zu verändern, dass Geschlechtergerechtigkeit eine größere Einflussgröße besitzt. Das ist der große Hebel. Und damit kommen wir unweigerlich zur Q-Frage….

Die Q-Frage

Und das ist sie – die wohl umstrittenste Frage: Braucht es eine Quoten-Regelung in der Musikbranche, bspw. für das Abrufen von Fördermitteln? Die Panel-Teilnehmer:innen waren sich weitestgehend einig: Eine Quote kann dahingehend helfen, dass die Akteure für den Erhalt von öffentlichen Geldern gezwungen seien, die Zeit dafür zu finden, unterrepräsentierte Acts zu recherchieren, die es ja gibt. Oder in anderen Worten: Leistung muss sich lohnen, aber Leistung ist eine relative Kategorie. Es ist nicht für immer in Stein gemeißelt, was wie gefördert wird. Das hängt alles davon ab, wie die Politik Rahmenbedingungen setzt. Und diese müssen in der Kulturförderung dringend mit Blick auf die Einbindung von Frauen und LGBTQIA+ angepasst werden. Das kann damit gelingen, dass sich zuständige politische Akteure mit denjenigen zusammensetzen, die Fördermittel nutzen, sich bislang aber noch nicht wirklich mit der Geschlechtergerechtigkeit auseinandersetzen. Auch in Fortschreibungen von Programmen, wie Neustart Kultur, sollte die Quote oder Bemühungen weg von 80/20 zu 50/50 eine Rolle spielen.

Als Vertretung von „der Politik“ sagte NRW-Gleichstellungsministerin Josefine Paul beim Panel-Talk: „Ihr müsst der Politik im Nacken sitzen, damit auch sie den Mut hat, gesellschaftliche Bereiche an gesellschaftliche Realitäten anzupassen. Denn natürlich gelingt viel über Förderung. Bei entsprechenden Entscheidungen sollte die Zivilgesellschaft dann aber auch unterhaken und die Politik den Rückenwind in die verantwortlichen Stellen hineingeben. Denn das entscheidende Wort ist ‚gemeinsam‘. Am Ende darf sich bei der Geschlechtergerechtigkeit keine gesellschaftliche Akteursgruppen rausnehmen.“ (Zitat aus Veranstaltungs-Mitschrift)

Fotos: Lisa Ramacher

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